Ich wache gegen 10 nach 5 auf und schaue aus dem Fenster. Es war sehr dunkel und Nebel (oder Smog?) lag in der Luft, so dass kein Sonnenstrahl durchkam. Ich legte mich noch ein paar Minuten hin und machte mich dann fürs Training fertig. Christopher rief mir im Badezimmer zu, dass wir wieder ein Insekt im Zimmer haben. Ein großes natürlich. Er hatte es gestern Nacht zwischen Fensterscheibe und Fliegengitter eingesperrt, da er dachte dort etwas gesehen zu haben. Heute Morgen kam die Erkenntnis: Ein großer Nachtschwärmer (glaub ich zumindest). Wir ließen das Ding erst mal in seinem Gefängnis und ich ging zum Training. Christopher war sehr, sehr müde und konnte nicht trainieren vor Müdigkeit. Ich ging dann allein runter und trainierte mit Max zusammen. Tobias hatte immer noch Bauchschmerzen, Magen-Darm, o.Ä. und blieb deswegen auch im Bett. Beim Laufen regte ich mich wieder über die ganzen Ausländer auf, die aus dem Training einen Morgenspaziergang machen. Das sind immerhin knapp 70%. Das spornt mich an, schneller als der Rest zu laufen. Nach dem ich 7 große Runden gelaufen bin, dehnte ich mich kurz an den Platten und wir gingen mit unseren Shifu das Training durch. Stellungen, Fauststoß, Handflächenschlag, Rumanda (?), Ma-Bu / Gum-Bu und dann so ne Art Stellungswechsel zwischen Der Hockposition zum tiefen Ausfallschritt. Die Übung ist die Killerübung schlecht hin für die Beine. Ich schaffte grade mal 5 Stück davon nacheinander. Dann liefen wir noch ein oder zweimal unsere Form (diesmal kein Gun) und das Training war beendet. Auf dem Zimmer saß Christopher wie ein Häufchen Elend in der Ecke auf dem Stuhl und meinte nur, er könnte kaum die Augen offen halten. Beim Frühstück (ich ging allein, Christopher war zu müde) gab’s wieder denselben Mist wie immer. Allerdings bekam ich etwas Schokolade von Christian, und konnte so etwas Abwechslung in die Brötchen bringen. Max hat jetzt auch Magenprobleme bzw. Bauchschmerzen. Er wollte es ja unbedingt wissen. Nicht dass ich ihn nicht gewarnt hätte 😉
Kurz darauf ging es weiter mit dem Training. Vormittags immer ohne Kinder. Tobias vermutet, dass er sich mit Salmonellen angesteckt hat, durch das nahrhafte und hygienisch unbedenkliche Essen hier. Beim Training fingen wir mit den Kicks an. Bis Pausen mussten wir durch die Luft treten. In der Pause dehnte ich mich wieder wie sonst auch und arbeitete an meiner Hüfte, damit Sie flexibler wird. Nach der Pause gingen wir Ma-Bu und Gum-Bu mit und ohne Faustschläge durch und kamen dann zu unseren Formen. Wir übten Sie draußen, wo es herrlich sanft regnete. Das war echt erfrischend, macht den Stab aber sehr glitschig und dreckig (wenn er auf den Boden fällt). Mein Shifu zeigte mir ein paar weitere Bewegungen der Stockform, die ich die ganze Zeit übte. Dann gingen wir wieder in die Halle und machten jeder noch 100 Sit-Ups und dann war auch schon Ende. Komplett durchnässt gingen wir zur Schule zurück, grüßten ab und gingen auf unsere Zimmer. Während ich duschte, holte sich Christopher heißes Wasser für seinen Kaffee(-ersatz). Er meinte, dass das Wasser heute wohl heiß genug für eine Suppe wäre und machte mir so Appetit auf einen Happen. Ich ging zu Max, der immer noch meine Suppenschale hatte und er schlug mir vor, Wasser mit seinen Tauchsieder zu erhitzen. Das Wasser war danach fast kochend und die Suppe so gut wie nie zuvor hier. Ich genoss jeden Löffel und ging danach zum Essen. Es gab Reis…
Nach dem Essen besuchte uns die Dänin und gab Christopher ein dänisches Buch und wir unterhielten uns über allerlei Dinge wie z.B. den Kasachischen Jungs, die heute in ihrer Tai Chi-Gruppe waren. Sie meinte, sie wären sehr faul und würden nichts machten. Genau das habe ich auch schon festgestellt. So wie sie sagte wurden Sie von ihren Vätern hier hin geschickt. Für 3 bis 4 Wochen. Kann es kaum abwarten bis Sie verschwinden. Nach der Pause ging ich mit Max zum Training. Tobias und Christopher blieben an der Schule, da Sie beide Bauchschmerzen und Durchfall plagen. Es kommt definitiv vom Essen, da sind wir uns einig. Beim Training gingen wir mit dem Shaolin-Shifu vor und machten uns auf sein Kommando warm. Dehnen geschah dann selbstständig. Unser Shifu kam nach dem Dehnen mit den ganzen Kindern nach. Wir gingen die Basis-Kicks durch und dann die Sprungkicks (einige davon). Max plagten Bauchschmerzen, doch er „opferte“ sich für mich auf und so musste ich nicht alleine das Training durchstehen. Alleine hat man nämlich die ganze Konzentration des Shifus. Das kann verdammt hart werden…
In der Pause dehnte ich mich wieder und bekam ein wenig „Hilfe“ (so nenn ich das jetzt mal) von Pit und Christian, die mir die Beine weiter auseinanderzogen. Unter Schmerzen kam ich aber tatsächlich ziemlich tief in den Spagat runter. Hätte nicht gedacht, dass ich doch schon so weit runter komme. Wenn jetzt noch der Schmerz dabei nicht mehr so heftig wäre, würd ich den Spagat sicher bald können. Die Hüftblockade habe ich auch überwunden. D.h. beim Dehnen des Seitspagats blockiert die Hüfte nicht mehr so stark. Der Dehnvorgang in den Pausen ist aber dafür sehr kräftezehrend. Trotzdem fühl ich mich danach immer besser als vorher. Vor allem ohne Schuhe. Ich hab das Gefühl ich könnte fliegen. Nach der Pause fuhren wir mit den Kicks fort und kamen dann zur Shao-Form (auch für mich). Dann noch ein bisschen Gun, bei dem ich meine Form weiterlernte und zum Schluss noch 200 Sit-Ups für jeden. Als ich auf dem Zimmer ankam, fragte ich, ob Sie mit Yuen gesprochen habe. Tobias und Christopher hatten nämlich vor mit Yuen über das Essen in der Schule zu reden. Denn viele bekommen davon Magenprobleme bis Durchfall. Dann sagte er mir, dass er mit Tobias im Krankenhaus war. Ich traute meinen Ohren nicht. Er erzählte, dass er noch nie SO ein Krankenhaus gesehen hat. Es war eine Drecksbude, wie Sie im Buche steht. Christopher erzählte mir gerade, dass Sie ihn ne Injektion verpassen wollten, gegen die Bauchschmerzen, da kam Tobias rein und fragte ob er die Pillen genommen hat, die Sie beide bekommen haben. Die beiden erzählten mir was Sie dort erlebt haben und mir blieb nichts anderes übrig, als den Kopf zu schütteln. Das Krankenhaus war eigentlich eine verlassene Ruine, bis jemand sich dachte: „Ach, lass hier mal ein Krankenhaus raus machen“. Also ein 20 Jahre altes Holzgestellt mit einem weißen Laken in eine Ecke gestellt, ein bisschen Müll auf den Boden verteilen und fertig ist das Krankenhaus. Nichts war hygienisch oder gar steril. Der „Doktor“ rauchte die ganze Zeit seine Kippen und rotzte mitten im Gespräch auf den Boden. Niemals hat der Medizin studiert meinten Sie. Als er fragte, was sie denn hätten, versuchten beide genau zu beschreiben was denn nun war. Yan Lin, der mitgefahren und sie hingebracht hat, übersetzte das Ganze. Fazit war, dass es am kalten Wasser und der Klimaanlage liegt (woher bitte kaltes Wasser bekommen?). Aber nein, nein… das Essen ganz bestimmt nicht. Als der Doktor ihn eine Direktinjektion verpassen wollte, meinte Christopher, dass er Nadeln nicht mag und nicht wollte. Tobias auch nicht. Dann bekamen Sie Pillen, die Sie nehmen sollten. Sie nahmen Sie mit zur Schule und nahmen Sie natürlich nicht ein. Danach hat man bestimmt ganz andere Probleme…
Da beide unter Durchfall leiden, konnten Sie nicht vermeiden im Krankenhaus auf die Toilette zu gehen. Da aber keine an Papier gedacht hat, musste Yan Lin eine kleine Packung Taschentücher (ich hab Sie gesehen; wirklich sehr kleine Packung) für beide auftreiben. Christopher ging zur Toilette und bemerkte irgendwann, aber spätestens nachdem eine Frau in die Toilette kam und schreiend raus rannte, dass er auf die Frauentoilette gegangen war. Er rief Tobias, der im Herrenklo hockte zu, dass er wohl die falsche Tür genommen hatte. Christopher erschrak richtig, als er aus dem Herrenklo eine Art Explosion aus Tobias Hintern vernahm. So laut habe er noch nie jemanden kacken gehört meinte er nur und war froh, dass er woanders war und so nichts abbekommen konnte (muss sich echt schrecklich angehört haben). Christopher dachte in dem Moment nur, dass er vielleicht gar nicht krank sei. Denn im Vergleich zu Tobias hatte er nicht mal annähernd Durchfall. Ich kann aber bezeugen, dass Christopher, sobald er etwas isst, keine 20 Minuten vergehen, bis er auf die Toilette rennt. Ich kam aus dem lachen nicht mehr raus. Zum Abendessen gab es wieder die Brötchen. Ich kaufte mir eine kleine Tafel Schokolade (sehr klein) und stopfte sie Stückchenweise ins Brötchen, damit es Mal nicht ganz so trocken schmeckt. Christopher aß nicht viel und Tobias ebenfalls nicht. Christopher meint nur, dass er es Leid ist ständig zu kacken. Das geht schon seit Tagen so. Tobias hat es aber glaub ich noch schlimmer. Sobald er sich bewegt, kriegt er Bauchschmerzen und muss wenig später ebenfalls auf den Pott. Ich bin echt froh, dass ich bisher verschont wurde. Am Tisch erzählte Pit, der ja bald seine Ausbildung bei Kuhr Security in Berlin beginnt, dass Sie gerne mal den Sanda-Shifu mit in einen Club nehmen wollen. Er legt sich dann mit einem Türsteher an und wird, sobald er einen Schlag abbekommt nur sagen „No Power“, so wie er es immer tut. In dem Moment fand ich ganz witzig, aber ich merke grade beim schreiben, dass das wohl niemand mit mir teilen wird. Nach dem Essen traf ich meinen Shifu in der Eingangshalle, der mich zu sich rief. Er erzählte mir, dass wir wohl den Shifu wechseln sollten zu Yuen oder den Shaolin-Shifu. Ich verstand erst nicht, aber dachte mir, dass es vielleicht was mit den Krankheitsfällen von Tobias und Christopher zu tun haben könnte, die sich in letzter Zeit häuften. Yan Lin hat wohl davon Wind bekommen. Ich fragte aber warum das ganze und vermittelte ihn so, dass ich das nicht wollte. Er war dann ganz froh und gab mir beide Daumen und meint ich sollte mit Tobias und Christopher drüber sprechen und Morgen dann „Yes“ oder „No“ sagen zu dem Wechsel. Für Tobias, Christopher und mir war es aber klar, dass wir das nicht wollten. Schließlich haben wir den coolsten Shifu. Beim Abendtraining setzte Max heute aus, da er Probleme mit dem Sprunggelenk hat. Christopher ebenso, da er immer noch Durchfall hat. Tobias trotze den Bauchschmerzen und Durchfallanfällen und machte mit und wollte Notfalls schnell aufs Zimmer rennen bzw. immer und überall Toilettenpapier mitnehmen. Er ist ja nun schon einiges gewohnt und kann wenn er in ein Loch scheißen kann, auch im Busch sein Geschäft verrichten. Nach dem Laufen sahen wir, dass Yan Lin mit unseren Shifu sprach und wir gingen beide dazu um das Ganze zu klären. Wir vermittelten Yan Lin, dass wir nicht den Shifu wechseln wollten, in dem wir auf das freie Training, das wir jetzt teilweise haben, bauten. Er wollte den Wechsel auch nur, weil er heute beim Training zugesehen hat und sah, dass er immer zwischen der Kindergruppe und uns wechseln musste. Er wollte uns halt nur einen Gefallen tun, damit wir mehr lernen können, indem wir immer Zugriff auf einen Shifu haben. Aber den haben wir doch bereits und 5 Minuten kommen wir auch ohne Shifu klar. Zudem sind die die einzige Gruppe, neben den Sanda-Leuten, die richtiges Powertraining machen. Er akzeptierte das und alle waren zufrieden. Unser Shifu war richtig verlegen-glücklich und zeigte uns in aufrichtiger „ich-bin-euch-was-schuldig“-Laune alles was wir wollten. So wurde Tobias die Dao-Form weiter beigebracht und mir zeigte er, wie die Stockform weitergeht. Ich glaube wir haben ihn irgendwie den Arsch gerettet. Ich duschte anschließend und erzählte Christopher was es nun ergeben hat mit dem Wechsel, der ja nun nicht stattfand. In dem Moment erschraken wir beide. Dann wir hörten Schüsse, ganz aus der Nähe. Der Himmel leuchtete immer wieder kurz rot-gelb auf und wir dachten echt, draußen wär ein Krieg ausgebrochen. Ich war schon kurz davor mich auf dem Boden zu werfen (kein Witz), dann kam irgendwann vom Flur die Erkenntnis, dass es „nur“ Feuerwerk war. Aber ganz schön heftiges Feuerwerk. Hätte auch Artilleriebeschuss sein können. Und Gewehrschüsse hätte man auch raus hören können. Nach den Sekunden des Schreckens schrieb ich meine Berichte zu Ende und vernahm später noch weitere Male das „Feuerwerk“. China halt.